Vegane Ernährung während der Recovery

Kategorie: Essstörung

Datum: 08.04.2023

Mittlerweile ist der Veganismus sehr verbreitet. Dabei ist Veganismus für viele nicht nur eine Diät, sondern vielmehr eine Lebensweise. Das bedeutet, es wird nicht nur auf die Nahrung und auf Tierprodukte verzichtet, sondern auch bei Kleidung, Kosmetik und vielen anderen Produkten.

Doch in dem heutigen Text soll es nicht um die Grundsätze von „Vegan“ gehen. In diesem Artikel möchte ich eine vegane Ernährungsweise in Bezug auf Essstörungen betrachten, insbesondere in der Recovery. Wahrscheinlich möchten viele den folgenden Satz nicht lesen, doch dies bestärkt mich nur, ihn zu schreiben und umso wichtiger ist es, ihn zu schreiben. Denn eine vegane Ernährung kann sich für Menschen mit einer Essstörung negativ auf ihre Genesung auswirken. Daher sollten in jedem Fall die Motivation und der Antrieb für diese Art der Ernährung hinterfragt werden. Außerdem sollten Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen werden.

Damit es klar ist, dieser Artikel richtet sich nicht grundlegend gegen die vegane Ernährung, sondern soll viel mehr auf mögliche Gefahren aufmerksam machen, die im Zusammenhang mit der veganen Ernährung in der Recovery bestehen. Daher kann es möglicherweise sein, dass Du mir an einigen Stellen vehement widersprechen willst oder Dich angegriffen fühlst. Dies sind allerdings eher Anzeichen, dass Du Dich und Deine Gründe für die vegane Ernährung vielleicht noch einmal hinterfragen solltest.

Denn wenn Du Dich aus rein ethischen Gründen vegan ernähren solltest, wird Dich der Artikel sicherlich nicht triggern. Zudem denke ich bzgl. der veganen Ernährung nicht in schwarz oder weiß, bzw. in gut oder schlecht. Falls Du zu stark in diesen Mustern denkst, solltest Du diesen Text möglicherweise lieber nicht lesen.

Sofern Du ihn anfängst zu lesen, solltest Du ihn jedoch unbedingt bis zum Ende lesen, um ihn vollständig zu verstehen.

Wieso solltest Du die vegane Ernährung in der Recovery hinterfragen?

Ganz einfach, damit Du Dich und Deine Gründe besser verstehst und auch wirklich vollständig heilen kannst und nicht nach einem Schicksalsschlag wieder in die Essstörung fällst.

Denn der Weg in die Essstörung passiert eigentlich immer schleichend und nicht über Nacht. Oftmals geben Betroffene an, dass ihre Essstörung im Rückblick mit einer Diät oder dem Versuch, sich gesund zu ernähren, angefangen hat. Diese „gesunde Ernährung ist dann bei vielen vegetarisch oder vegan. Vielleicht fragst Du Dich, was an einer „gesunden Ernährung“ falsch sein soll? Möglicherweise kannst Du nun aber rückblickend feststellen, dass es bei Dir auch so anfing?

Natürlich ist es für die Gesellschaft von außen betrachtet nicht problematisch zu versuchen, sich gesund zu ernähren oder sich vegan zu ernähren. Allerdings bietet genau diese gesellschaftliche Anerkennung vielen Betroffenen die Möglichkeit, ihre Krankheit zu verbergen. Denn die Einschränkungen sind ganz einfach hinter in der Gesellschaft akzeptierten Formen der Ernährungsbeschränkungen versteckt und somit schöpft niemand „Verdacht“.

Allerdings ist bei vielen Betroffenen mit einer Essstörung der wahre Grund für eine vegetarische oder vegane Ernährung nicht das Tierwohl, sondern der Wunsch ihr Gewicht zu kontrollieren. Hierzu gibt es zum Beispiel eine interessante Studie. In dieser Studie wurden Frauen mit einer Essstörung befragt und von den Befragten gaben 68 % der Frauen an, dass der Vegetarismus mit ihrer Essstörung zusammenhängt oder nach dem Ausbruch der Essstörung entstanden ist (Quelle). Dies ist eine deutliche Mehrheit und somit lohnt es sich für jede ihre Motive hinter den Einschränkungen hinter ihrer Ernährung zu hinterfragen.

Ist die vegane Ernährung für die Recovery gefährlich?

Mittlerweile gibt es immer mehr Betroffene, die nach Erreichen bestimmter Phasen der Genesung zu einer veganen Ernährung übergehen. Dies ist nicht grundsätzlich schlimm. Allerdings ist dieser Schritt, je früher er erfolgt, umso riskanter. Das Beste wäre, wenn Du Dich aktuell nicht vegan ernährst, dass Du erst nach Abschluss der Recovery zur veganen Ernährung wechseln würdest.

Solltest Du zum Beispiel noch in der Quasi-Recovery stecken und Dir dessen nicht bewusst sein, kann dieser Schritt für Dich einfach zu früh sein. Denn auch wenn bei einer sorgfältig geplanten und durchdachten veganen Ernährung alle wichtigen Nährstoffe für den Körper gedeckt werden können, besteht für die körperliche Gesundheit kein Problem. Allerdings kann es für Deine psychische Gesundheit sehr belastend sein. Daher solltest Du Dir immer bewusst machen, dass egal aus welcher Absicht Du eine vegane Ernährung startest, sie bei einer Vorgeschichte einer Essstörung zu psychischen Nachteilen führen kann. Das muss nicht der Fall sein, kann aber und daher solltest Du Dich einfach ehrlich hinterfragen, ob es Dir guttut.

Der Grund hierfür ist, dass die Essstörung die von Dir gewählte Bewältigungsstrategie war, damit Dein Leben funktioniert. Diese Bewältigungsstrategie wird von vielen gewählt, weil sie ihnen ein Gefühl der Kontrolle gibt. Falls Du nun versuchst, mit der veganen Ernährung weiterhin ein Gefühl der Kontrolle zu generieren, werden dadurch sehr wahrscheinlich die Symptome der Essstörung aufrechterhalten werden. Dadurch besteht immer eine erhöhte Gefahr, wieder rückfällig zu werden.

Außerdem kann eine vegane Ernährung zur Isolierung führen, wenn Dein Umfeld sich nicht vegan ernährt. Genau dieser Aspekt der Isolation findet sich auch in der Essstörung. Somit ist es für die Genesung ein wichtiger Schritt, sich das Essen von anderen zuzubereiten zu lassen. Hier kann vegane Ernährung eine Ausrede sein, um Dir von anderen kein Essen zubereiten zu lassen und Deine eigenen Mahlzeiten einzunehmen. Da solltest Du Dich auch hier ehrlich hinterfragen.

Auswirkung Veganer Ernährung auf Deine Recovery

In diesem Abschnitt möchte ich Dir weitere Auswirkungen aufzeigen, die eine vegane Ernährung auf Deine Recovery haben kann, damit Du Dich selbst hinterfragen kannst.

Denn die vegane Ernährung kann Dich in Deinen Ängsten gefangen halten oder diese eventuell sogar noch weiter verstärken. Was ich damit meine? Lass mich Dir eine Gegenfrage stellen: „Was sind Deine Fear-Foods?“ Die Wahrscheinlichkeit, dass unter Deinen Fear-Foods Käse, Butter, Schokolade, Kuchen, Eiscreme, Sahne-Saucen oder Dressings sind, ist sehr hoch. Doch glücklicherweise fallen alle diese Lebensmittel aus der veganen Ernährung raus.

Dies ist somit für viele eine willkommene Ausrede, um sich vor diesen Lebensmitteln zu drücken. Schließlich ist es auch viel einfacher, aufgrund einer veganen Ernährung auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten, als aus Angst.  Was wäre für Dich einfacher? Zu sagen, ich esse das nicht, weil ich mich vegan ernähre oder ich esse das nicht, weil ich Angst habe und an einer Essstörung leide? Ich weiß, was für mich einfacher wäre und denke, Dir geht es ähnlich.

 Vielleicht möchtest Du nun einwenden, dass es doch vegane Alternativen für die zuvor genannten Lebensmittel gibt. Das stimmt auch, jedoch liegt genau hier ein weiteres Problem. Denn bei diesen Lebensmitteln hast Du quasi die Erlaubnis, diese Lebensmittel zu essen, weil sie vegan sind. Daher fühlt es sich für viele vielleicht leichter an, diese Alternativen zu essen.

Ein Beispiel, dass dies bei Dir der Fall ist, wäre zum Beispiel der Gedanke: „Ich hab Angst, XY zu essen. Als ich es dann gegessen habe, hat es mir Angst gemacht, doch da es vegan war, habe ich mich nicht so schuldig gefühlt.“ Bei solchen Gedanken sollten bei Dir die Alarmglocken klingeln und Du solltest Dich einmal hinterfragen.

Dies ist nämlich ein starkes Anzeichen, dass Dir der Veganismus weiterhin ein Gefühl der Kontrolle gibt und Du somit Deine Erkrankung nicht komplett aufgeben musst. Denn im Grunde gibt Dir so die vegane Ernährung die gleiche Beruhigung, wie zuvor Deine Essstörung.

Darüber hinaus führt jede Einschränkung der Lebensmittel zu einer verstärkten Beschäftigung mit den verschiedenen Lebensmitteln. Dies kann Deine vorhandenen Ängste noch weiter verstärken. Als Beispiel für die vegane Ernährung zum Beispiel durch das Checken von Verpackungsangaben, ob das Produkt vegan ist. Durch dies Checken können sich Ängste in Bezug auf Nährstoffangaben verstärken.

Decke ich alle Nährstoffe mit der veganen Ernährung ab?

Du möchtest Dich aufgrund von ethischen Gründen vegan ernähren? Dann solltest Du natürlich darauf achten, dass Du alle essenziellen Nährstoffe, die der Körper benötigt, in ausreichenden Mengen zu Dir nimmst. Grundsätzlich ist es mit einer durchdachten veganen Ernährung möglich, alle Makro- und Mikronährstoffe abzudecken.

Solltest Du Dich im Untergewicht befinden, sollte der Fokus darauf liegen, genug zu essen und zuzunehmen.

Da es sicherlich mehr Planung bedarf, in einer veganen Ernährung alle Nährstoffe aufzunehmen, möchte ich Dir nachfolgend eine Liste an die Hand geben. In dieser Liste findest Du einige Nährstoffe, die in einer veganen Ernährung oftmals nicht ausreichend verzehrt werden. Daher gibt es zusätzlich ein paar Lebensmittel, die Du verzehren kannst, um den Bedarf zu decken.

Vitamin B12: 

Vitamin B12 ist unter anderem für die DNA-Bildung und die Bildung von roten Blutkörpern zuständig. Daher kann ein Vitamin B12 Mangel unter anderem zu Blutarmut, Gedächtnis- oder Sehstörungen sowie zu Nervenschäden führen.

Welche Lebensmittel enthalten Vitamin B12? Vitamin B12 kommt natürlich nur in tierischen Lebensmitteln vor. Daher sollte eine Versorgung durch Nahrungsergänzungsmittel oder den Verzehr von mit B12 angereicherten Lebensmittel sichergestellt werden, wie zum Beispiel bestimmte Pflanzen-Milchprodukte.

Eisen: 

Ein Eisenmangel führt neben einer schlechteren Immunabwehr zu Müdigkeit, Schwäche, brüchigen Haaren und Nägeln.

In pflanzlichen Quellen findest Du Eisen zum Beispiel in: Tofu, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Vollkorn, Getreide, Trockenfrüchte oder in grünem Blattgemüse.

Da diese Quellen vom Körper nicht so leicht absorbiert werden können wie tierische Eiweißquellen, empfiehlt es sich zur besseren Aufnahme Vitamin-C-haltige Lebensmittel mit Eisenhaltigen zu kombinieren. Zusätzlich solltest Du Tee und Kaffee bei diesen Mahlzeiten vermeiden, da sie die Eisenaufnahme hemmen.

Kalzium: 

Kalzium ist wichtig für die Knochen, Zähne und Nervenleitungen. Bei einem Kalziummangel wird die Entstehung von Osteoporose begünstigt. In der Wachstumsphase kann Kalziummangel sogar das Wachstum behindern.

Deinen Kalziumbedarf als Veganer kannst Du zum Beispiel durch den Verzehr von Mandeln, Spinat, Brokkoli, Tofu, getrockneten Feigen oder Hülsenfrüchten decken.

Falls Du eine pflanzliche Milch als Milchersatz nutzt, kannst Du hier schauen, ob Du eine mit Kalzium angereichert findest.

Omega-3-Fettsäuren: 

Damit Dein Gehirn optimal funktioniert und Du Herzkrankheiten oder Bluthochdruck vorbeugen kannst, ist eine ausreichende Versorgung mit Omega 3 nötig.

Bei einer veganen Ernährung können Dir Leinsamen, Walnüsse, Chiasamen, Sojabohnen und Rapsöl helfen, das Ziel einer ausreichenden Omega 3 Aufnahme zu erreichen.

Eiweiß: 

Da Eiweiß ein wichtiger Baustoff für das Immunsystem ist, möchte ich es hier noch erwähnen. Außerdem ist es ein wesentlicher Baustein für Muskeln, Haare, Haut und Nägel. Darüber hinaus ist es ein wichtiger Baustoff für die Produktion von Neurotransmittern (den körpereigenen chemischen Botenstoffen).

Es gibt viele Möglichkeiten, seinen Eiweißbedarf mit einer veganen Ernährung zu decken. Ich möchte Dir nachfolgend ein paar Beispiele geben:  Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Tofu oder Soja-Produkte.

Falls es Dir nicht aufgefallen ist, waren in jeder Kategorie Nüsse. Also falls Nüsse Dein Fear-Foods sind und Du Dich vegan ernährst, solltest Du dieses schnellstens in Deine Ernährung integrieren, um eine gute Möglichkeit für die Aufnahme der verschiedensten Nährstoffe zu haben.

Hast Du Verdauungsbeschwerden bei der Recovery oder Essstörung?

Dann können diese durch eine vegane Ernährung noch verstärkt werden. Dies liegt ganz einfach an der Tatsache, dass eine vegane Ernährung typischerweise sehr reich an Ballaststoffen ist. Zusätzlich haben vegane Lebensmittel häufig eine geringe Energiedichte. Diese beiden Tatsachen können (können nicht müssen) dazu führen, dass es in der Recovery zu verstärkten Verdauungsbeschwerden kommt.

Denn durch eine geringe Energiedichte, muss automatisch eine größere Menge an Nahrung verzerrt werden, um den Energiebedarf überhaupt decken zu können. Nun kommt in der Recovery erschwerend hinzu, dass der Energiebedarf höher ist als „normal“.

Diese oftmals erhöhte Nahrungsaufnahme ist insbesondere für Personen schwierig, die sich sehr schnell satt fühlen, gar kein richtiges Sättigungsgefühl haben oder eine langsame Verdauung haben. Wo treten diese Probleme häufig sogar alle gemeinsam auf? Genau bei Betroffenen einer Essstörung.

Daher ist es in der Phase einer Gewichtsnormalisierung nicht unbedingt empfehlenswert, Lebensmittel mit einer geringen Energiedichte zu verzehren.

Hier könntest Du zum Beispiel bei einer veganen Ernährung mit einem erhöhten Konsum an Nüssen entgegenwirken.

Zusammenfassung: Rätst Du mir von einer veganen Ernährung ab?

Nein, natürlich rate ich Dir nicht grundsätzlich von einer veganen Ernährung ab, das ist schließlich Deine persönliche Entscheidung.

Allerdings würde ich Dir raten, Dich und Deine vegane Ernährung einfach einmal zu hinterfragen. Solltest Du dabei feststellen, dass Du sie dazu benutzt, um ein Gefühl von Kontrolle zu erzeugen. Würde es vielleicht für Dich Sinn machen, die vegane Ernährung für die Zeit der Recovery ruhen lassen und Deine Gesundheit an die erste Stelle setzen.

Es ist nun einmal so, dass bei Personen, die sich in der Recovery befinden, die Einführung einer veganen Ernährung dazu führen kann, ein restriktives Ernährungsverhalten beizubehalten. Daher kann es in Einzelfällen nötig sein, die vegetarische oder vegane Ernährung für die Zeit der Behandlung auszusetzen.

Dies ist natürlich niemals ein pauschaler Rat und muss letztlich immer individuell und von Dir entschieden werden.

Solange Du Dir sicher bist, dass nicht Verhaltensweisen und Muster aus der Essstörung hinter der veganen Ernährung stehen, sondern ethische Gründe, spricht auch absolut nichts gegen eine vegane oder vegetarische Ernährung in der Recovery.

Liebe Grüße

Deine Janina

„Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“

Dietrich Bonhoeffer

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