Einfach in den Urlaub fahren und die Essstörung zu Hause lassen. Wünschst Du Dir das auch manchmal? Ich habe es mir früher so sehr gewünscht und vorgestellt, wie es wäre, ohne meine Essstörung in den Urlaub zu fahren. Mich frei und leicht zu fühlen. Die Sorgen zu Hause lassen. Kennst Du diese Gedanken?
Allerdings lief es meist ganz anders als in meinen Träumen. Denn gerade im Urlaub spielt das Essen eine große Rolle. Insbesondere wenn Du Dich in einer Essstörung befindest, tauchen viele Probleme auf.
Urlaub genießen trotz Essstörung – geht das?
Die meisten Menschen fahren in den Urlaub, um von ihrem „normalen Leben“ oder „Alltag“ abzuschalten. Dies kann sich für Dich allerdings als schwierig herausstellen. Da Du Dir wahrscheinlich viele Regeln rund um die Themen Essen, Bewegung und Sport auferlegt hast. Diese Regeln können im Vorfeld ein ungutes Gefühl oder sogar Angst auslösen, weil der Urlaub eine große Veränderung im Alltag darstellt. Da gerade Personen in einer Essstörung ein hohes Bedürfnis an Sicherheit haben und jede kleine Veränderung in gewissem Maße auch Unsicherheit bedeutet, ist diese Angst völlig nachvollziehbar.
In diesem Artikel möchte ich Dir von meinen Erfahrungen erzählen und Dir zusätzlich ein paar Tipps zur Planung und allgemein für den Urlaub mit an die Hand geben. Dadurch möchte ich Dir ein wenig die Angst nehmen und Dir Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Ich hoffe, Du kannst etwas für Dich mitnehmen und Deinen nächsten Urlaub ein klein wenig mehr genießen.
Die Herausforderung: Urlaub und Essstörung
Essstörung und Urlaubsplanung
Für viele Menschen ist der Urlaub die schönste Zeit des Jahres – eine Gelegenheit, dem Alltag zu entfliehen, neue Orte zu entdecken und sich zu entspannen. Für jemanden, der an einer Essstörung leidet, kann die Urlaubsplanung jedoch zu einer großen Herausforderung werden. Die festen Routinen und Regeln, die im Alltag Halt und Sicherheit bieten, werden durch die Reise oft durchbrochen. Plötzlich stehen ungewohnte Situationen im Vordergrund, wie das Essen in fremden Restaurants oder die Auseinandersetzung mit einem ganz anders strukturierten Tagesablauf.
Kennst Du es vielleicht auch, dass Deine Gedanken vor dem Urlaub um folgende Gedanken kreisen? Wie kann ich meine Essgewohnheiten im Urlaub aufrechterhalten? Was passiert, wenn ich die Kontrolle verliere? Solche oder ähnliche Gedanken können zu Unsicherheiten führen. Diese Unsicherheiten können im Folgenden dazu führen, dass der Gedanke an den Urlaub mehr Stress als Freude bereitet.
Unsicherheiten und Ängste
Besonders die Veränderung der täglichen Routine und das Fehlen der vertrauten Umgebung können Ängste auslösen. Im Urlaub gibt es oft weniger Möglichkeiten, sich an gewohnte Essens- und Bewegungspläne zu halten. Diese Unsicherheiten können zu Panik führen und das Gefühl der Kontrolle noch weiter schwächen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung und meinen Coachings, dass viele Menschen mit Essstörungen ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Struktur verspüren. Ein Urlaub kann dieses Bedürfnis auf die Probe stellen. Die Angst, nicht zu wissen, welche Nahrungsmittel verfügbar sein werden oder wie Du Dich in sozialen Essenssituationen verhalten sollst, kann überwältigend sein. Auch das ständige Vergleichen mit anderen Urlaubern, besonders in Badebekleidung, kann den Druck erhöhen und Dein Selbstwertgefühl weiter beeinträchtigen.
Meine persönlichen Erfahrungen
Urlaub mit Magersucht
Während meiner Magersucht war ein Urlaub für mich eine besonders schwierige Zeit. Die großen Herausforderungen im Urlaub waren ähnlich wie zu Weihnachten oder Ostern. Mir fiel es allgemein schwer, in Gesellschaft zu essen. Während meiner Magersucht war das Problem eher, dass ich mich beobachtet gefühlt habe, weil ich fast nichts gegessen habe. Zusätzlich kam bei der Magersucht noch hinzu, dass ich einfach extrem energielos war. Die Hitze setzte mir zu, sodass ich kaum Kraft hatte, Dinge zu erleben. Ich war einfach kraftlos und am Ende.
Die Blicke der anderen Menschen um mich herum konnte ich ganz gut von mir abgrenzen, denn zu meiner damaligen Zeit war ich stolz auf meinen Körper. Stolz, so dünn zu sein und ich dachte, dass es eher die Bewunderung anderer Menschen wäre, wie dünn ich sein konnte.
Urlaub mit Bulimie
In meiner bulimischen Phase machte mir die unbekannte Umgebung Angst. Ich wusste nicht, wie ich meine zweite Identität aufrechterhalten konnte. Denn zu Hause in Deutschland aß ich ja ganz „normal“. In diesem Fall meine ich mit normal, dass ich meine Gewohnheiten und Routinen hatte, wie ich mich ungestört übergeben konnte. Diese ungesunden Routinen gaben mir trotzdem eine Art Sicherheit und diese Sicherheit fiel im Urlaub natürlich komplett weg. Das machte mir Angst.
Allein diese Gedanken, dass ich nicht wusste, wie ich mich nach dem Essen übergeben könnte, machte mir Panik. Ich hatte Angst, aufzufliegen. Diese Angst aufzufliegen, dass jemand herausfindet, was ich bisher verheimlicht hatte, bereitete mir panische Angst.
Allgemeine Erfahrungen mit Essstörungen im Urlaub
Kennst Du das Gefühl von Panik vor einem Urlaub? Im Vorfeld eines Urlaubes fühlte ich ständig diese Panik. Diese Zeit war für mich purer Stress. Die Vorfreude, die alle anderen auf den Urlaub verspürten und an die ich mich noch leise von früher erinnern konnte, war in dieser Zeit nicht mehr vorhanden. Es war purer Stress und pure Panik.
Natürlich war dies nicht der einzige Stressfaktor. Zusätzlich wollte ich weiter abnehmen, um die perfekte Strandfigur zu haben. Ein perfekter Urlaub ist nur mit einer perfekten Strandfigur machbar, das war zumindest früher mein Glaubenssatz (das ist natürlich absoluter Schwachsinn). Denn es gibt keinen perfekten Körper.
Dies stresste mich den ganzen Urlaub über, da ich ständig auf meinen Körper achten musste. Dafür musste ich natürlich andauernd meinen Körper im Spiegel checken und egal wie dünn ich war, ich hatte dennoch das Gefühl, die dickste am ganzen Strand zu sein. Es war einfach der reinste Horror. Dazu kam das schlechte Gewissen hoch, ob ich es überhaupt verdient hätte, Urlaub zu machen. Denn mit Urlaub verband ich, dass ich mir gleichzeitig etwas Gutes tun würde. Natürlich hatte ich nicht das Gefühl, dass ich mir etwas Gutes tun darf. Ich musste immer etwas leisten, durfte nicht entspannen und schon gar nicht ohne Grund einfach so am Strand liegen.
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich mich selbst niedergemacht habe. Da ich so eine schlechte Meinung von mir hatte, fiel es mir schwer, mir etwas Gutes zu tun. Zu dieser Zeit bin ich mir absolut nicht mit Selbstliebe begegnet. Daher war es am Wochenende für mich auch keine Frage, ob ich ausschlafe. Ich habe mir um 6 Uhr einen Wecker gestellt. Du kannst Dir vielleicht denken, dass die Vorstellung, einen Urlaub zu machen, für mich keine leichte war. Geht es Dir ähnlich?
Tipps zur Vorbereitung auf den Urlaub
Auswahl des passenden Urlaubsortes
Bevor Du in den Urlaub fährst, ist es wichtig, Dir Gedanken darüber zu machen, welcher Urlaub für Dich zum jetzigen Zeitpunkt am besten geeignet ist. Solltest Du zum Beispiel an Magersucht leiden, könnte ein Urlaub am Strand mit All-inclusive-Verpflegung mit viel Stress verbunden sein. Vielleicht wäre ein Urlaub in einer eigenen Ferienwohnung in den Bergen weniger stressig? Dort könntest Du Dein Essen selbst planen und müsstest Dir keine Gedanken über Deine Figur am Strand machen.
Denke auch darüber nach, was Dir generell guttut. Bist Du lieber am Strand oder in den Bergen? Vielleicht möchtest Du auch eher einen Städtetrip machen? Was für eine Art von Urlaub bevorzugst Du? Möchtest Du etwas erleben oder lieber einfach entspannen? Benötigst Du einen komplett durchgeplanten Urlaub mit Programm, Animation und Unterhaltung? Oder möchtest Du lieber Dein eigenes Ding machen und planst selbst und spontan?
Planung und Struktur im Urlaub
Eine gute Vorbereitung kann helfen, die Unsicherheiten und Ängste zu reduzieren. Erstelle Dir im Vorfeld einen groben Plan für Deinen Urlaub. Überlege Dir, welche Aktivitäten Du unternehmen möchtest und plane feste Zeiten für Mahlzeiten ein. Dies gibt Dir ein Gefühl von Struktur und Sicherheit.
Falls Du in einem Hotel mit All-inclusive-Verpflegung wohnst, erkundige Dich im Vorfeld über die Essenszeiten und das Angebot. Mache Dir eine Liste mit „Safe Foods“, also Nahrungsmitteln, die Du gut verträgst und die Dir Sicherheit geben. So hast Du immer etwas, worauf Du zurückgreifen kannst.
Sicherheiten schaffen
Wenn Du mit einer Freundin oder einem Freund zum ersten Mal in den Urlaub fährst, kann es hilfreich sein, Dich ihr oder ihm vorher anzuvertrauen. So kann sie oder er Dich im Urlaub unterstützen. Ansonsten kannst Du auch mit einer Person Deines Vertrauens, die zu Hause bleibt, absprechen, dass Du Dich aus dem Urlaub bei ihr melden kannst. Dies gibt Dir die Sicherheit, in einem Notfall eine seelische Unterstützung zu haben.
Solltest Du eine längere Anreise haben, würde ich Dir empfehlen, ein „Safe Food“ mit einzupacken. So kannst Du bei Hunger etwas essen und bist nicht darauf angewiesen, Dir unterwegs etwas zu kaufen. Dies kannst Du auch für Ausflüge während des Urlaubs genauso handhaben.
Essensregeln und Strategien im Urlaub
Umgang mit All-Inclusive-Angeboten
Ein Urlaub mit All-Inclusive-Angeboten kann besonders herausfordernd sein, wenn Du an einer Essstörung leidest. Die ständige Verfügbarkeit von Essen und die große Auswahl können schnell überwältigend wirken. Hier ein paar Strategien, die Dir helfen können:
- Benutze einen kleinen Teller: Dadurch nimmst Du automatisch kleinere Portionen und kannst Dich nach und nach herantasten.
- Nimm Dir Zeit: Setz Dich in Ruhe hin und iss langsam. Versuche, Dein Essen zu genießen und achte bewusst darauf, wann Du satt bist.
- Wähle gezielt: Suche Dir die Speisen aus, die Dir vertraut sind und bei denen Du Dich sicher fühlst. Es ist in Ordnung, bei „Safe Foods“ zu bleiben.
- Plane im Voraus: Überlege Dir schon im Vorfeld, was Du essen möchtest. Das gibt Dir eine gewisse Struktur und Sicherheit.
Restaurantbesuche meistern
Ein Restaurantbesuch kann ebenfalls herausfordernd sein. Hier sind einige Tipps, wie Du damit umgehen kannst:
- Informiere Dich vorab: Viele Restaurants haben ihre Speisekarten online. Schau sie Dir an und überlege Dir, was Du bestellen möchtest.
- Sprich mit dem Personal: Zögere nicht, nach den Zutaten oder der Zubereitungsweise der Gerichte zu fragen. Viele Restaurants sind bereit, Anpassungen vorzunehmen.
- Wähle einfache Gerichte: Halte Dich an einfache, leicht erkennbare Speisen. Das reduziert die Unsicherheit darüber, was Du isst.
- Setze Grenzen: Es ist in Ordnung, nur das zu essen, womit Du Dich wohlfühlst. Du musst nicht alles probieren.
Ansonsten kann es im Urlaub hilfreich sein, „Safe Foods“ dabei zu haben, die Dir ein Gefühl der Sicherheit geben. Nimm dafür Snacks mit, die Dir Sicherheit geben. Außerdem kannst Du Dir vor dem Urlaub schon überlegen, was Du tun kannst, wenn Du Dich mal überfordert fühlst. Das kann ein kurzer Spaziergang sein oder das Anrufen einer vertrauten Person. Deinen Fear Foods musst Du Dich nicht im Urlaub stellen.
Emotionale und mentale Vorbereitung
Selbstwert stärken
Ein entscheidender Aspekt bei der Vorbereitung auf einen Urlaub mit einer Essstörung ist die Stärkung des Selbstwertgefühls. Es ist wichtig, sich selbst daran zu erinnern, dass Du es verdient hast, Dich zu entspannen und den Urlaub zu genießen. Hier sind einige Tipps, wie Du Deinen Selbstwert stärken kannst:
- Setze realistische Erwartungen: Sei nicht zu streng mit Dir selbst. Erwarte nicht, dass alles perfekt läuft, sondern erlaube Dir, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen.
- Umgebe Dich mit positiven Menschen: Verbringe Zeit mit Menschen, die Dich unterstützen und ermutigen. Dies kann Dir helfen, Dich sicherer und wohler zu fühlen.
Umgang mit Panik und Stress
Panik und Stress können im Urlaub verstärkt auftreten. Hier sind einige Strategien, die Dir helfen können, damit umzugehen:
- Atemübungen: Tiefe Atemübungen können helfen, den Geist zu beruhigen und die Panik zu reduzieren. Versuche, tief in den Bauch zu atmen und langsam auszuatmen.
- Meditation: Praktiziere Meditation, um im Moment zu bleiben und den Stress abzubauen.
Dies sind kurzfristige Möglichkeiten, die Du unternehmen kannst. Jedoch ist es langfristig natürlich keine Strategie. Dein Ziel sollte es langfristig sein, Deine Essstörung dauerhaft zu überwinden. Dafür ist es nötig, an den Ursachen zu arbeiten. Hierfür ist es sinnvoll, sich Unterstützung durch einen Coach oder Therapeuten zu suchen.
Dein Weg zu einem erholsamen Urlaub
Ich finde, dass ein Urlaub eine Zeit der Entspannung und Erholung sein sollte, auch wenn Du an einer Essstörung leidest. Mit der richtigen Vorbereitung und den richtigen Strategien kannst Du die Herausforderungen meistern und Deinen Urlaub genießen. Denke daran, dass es in Ordnung ist, Grenzen zu setzen und auf Deine eigenen Bedürfnisse zu achten. Du hast es verdient, eine schöne Zeit zu haben und Dich zu erholen.
Falls Du weitere Fragen hast oder Unterstützung benötigst, stehe ich Dir gerne zur Verfügung. Du kannst mich über WhatsApp, Telegram oder Instagram erreichen. Außerdem gibt es viele Selbsthilfegruppen, die Unterstützung bieten können. Zögere nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen und Dich mit anderen auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Liebe Grüße
Deine Janina
„Du kannst keine neue Zukunft erschaffen, indem Du an den Emotionen aus der Vergangenheit festhältst.“
Dr. Joe Dispenza