Wieso solltest Du Dich über Dinge ärgern, die man nicht ändern kann? Was hat dieses Thema mit Problemen beim Essen zu tun? Vielleicht wirkt es auf den ersten Blick so, als ob es nichts mit dem Thema Essen zu tun hat. Allerdings möchte ich Dir im Laufe des Textes aufzeigen, wie es vielleicht doch Dein Essverhalten beeinflussen kann.
Nun wollen wir uns nicht lange aufhalten und direkt starten. Kennst Du das sogenannte Gelassenheitsgebet? Es ist ein vom US-amerikanischen Theologen Reinhold verfasstes Gebet. In diesem Gebet bittet er Gott um Gelassenheit, Mut und Weisheit. Es soll in diesem Text jedoch nicht um Gott gehen, hierzu darf jeder seine eigene Meinung haben. Ich möchte verdeutlichen, was dieser Text aussagt.
Falls Du das Gebet noch nicht kennst, füge ich es nachfolgend für Dich ein:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, dass eine vom anderen zu unterscheiden.“ (Quelle)
Hilft mir das Gebet Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann?
Im folgenden Text gehen wir dieses Gebet einfach mal Stück für Stück durch. Dafür teilen wir den Satz in drei Abschnitte. Im ersten Teil heißt es, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Dies soll Dir zum einen deutlich machen, dass es auf dieser Welt Dinge gibt, die Du einfach nicht ändern kannst. Zum anderen macht dieser Satz deutlich, dass es nicht immer leicht ist, Dinge zu akzeptieren, wie sie sind. Daher wird in diesem Gebet auch um die Gelassenheit gebeten, diese Dinge einfach hinzunehmen, wie sie sind.
Etwas, was Du zum Beispiel nicht mehr ändern kannst, ist Deine Vergangenheit. Das heißt alles, was vor dem jetzigen Augenblick passiert ist, kannst Du nicht mehr ändern. Die Vergangenheit ist vergangen und lässt sich nie mehr ändern. Stell Dir einmal vor, wie befreiend es für Dich wäre, alles was in der Vergangenheit passiert ist einfach so hinzunehmen, ohne dass es Dich noch in irgendeiner Weise beeinflusst.
Was Du jetzt noch tun kannst, um mit Dingen aus der Vergangenheit abzuschließen, verrate ich Dir am Ende des Artikels.
Hast Du den Mut, Dinge zu ändern, die Du ändern kannst?
Denn genau das ist die Bitte im zweiten Stück dieses kurzen Gebetes. „Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann.“ Doch was ist damit gemeint?
Es ist nun einmal so, dass immer, wenn Du etwas veränderst, dies Konsequenzen hat. Als Beispiel, wenn Du in einer toxischen Partnerschaft bist, kannst Du dies ändern, weil Du Dich trennen kannst. Dies hat jedoch Konsequenzen wie zum Beispiel das Du Dich vielleicht erst mal eine Zeit alleine fühlst ohne Partner oder einfach Angst davor hast, alleine zu sein. Daher ist für diesen Schritt Mut nötig, sich der Angst zu stellen und die Bereitschaft, mit den Konsequenzen zu leben.
Ich kann Dir aus eigener Erfahrung sagen, wie viel Mut es kostet, wirklich eine Veränderung zu wagen. In der Zeit meiner Recovery habe ich auch einige schwierige Entscheidungen treffen müssen. Diese vielen mir teilweise extrem schwer und machten mir große Angst. Daher bedeutet mutig sein nicht, dass Du keine Angst hast, sondern dass Du trotz dieser Angst handelst und Dich den Dingen stellst, vor denen Du Angst hast.
Je öfter Du Dich Deiner Angst stellst, desto geringer wird sie werden, bis sie irgendwann verschwunden ist. Doch wie gesagt, dafür benötigt es Mut und genau dies soll in dem Gebet zum Ausdruck gebracht werden. Denn nur weil Du weißt, wie es geht und was Du tun solltest, heißt es noch lange nicht, dass Du es auch machst. Daher wünsche ich Dir diesen Mut, die Dinge zu ändern, die Du ändern kannst.
Kannst Du die Dinge voneinander unterscheiden?
Im dritten Satzteil des Gebetes wird um die Weisheit gebeten, Dinge die man ändern kann, von den Dingen zu unterscheiden, die man nicht ändern kann. Vielleicht fragst Du Dich, was soll daran so schwer sein? Doch ich denke, dass dieser letzte Teil des Satzes ein sehr wichtiger ist und es schwieriger ist, als man im ersten Moment denkt. Ich glaube tatsächlich, dass es die wirkliche Kunst ist, in allen Situationen so reflektiert zu sein, um unterscheiden zu können, was Du ändern kannst und was nicht.
Vor allem ist es auch wichtig zu verstehen, dass solange Du zum Beispiel versuchst, etwas zu ändern, was nicht veränderbar ist, wirst Du sicherlich nicht glücklicher werden.
Als “blödes” Beispiel: Auf dem Mond ist die Schwerkraft um den Faktor sechs geringer als auf der Erde. Das heißt, wenn Du Dich auf der Erde auf die Waage stellst und 60 kg wiegst, dann wiegst Du auf dem Mond nur 10 kg. Kannst Du es ändern? Sicherlich nicht. Dies mag in diesem Beispiel noch relativ einfach zu erkennen sein, doch es gibt auch kniffligere Fälle. Falls Du Dich nun über diese Situation aufregst und beklagst, wie unfair es ist, dass die Waage auf dem Mond so wenig anzeigt, wird das nichts ändern. Die Schwerkraft würde so bleiben wie sie ist, egal was Du machst. Das Einzige, was Du erreichst, ist, dass Du schlechte Laune hast.
Gibt es Situationen, in denen es schwerer ist zu erkennen, ob Du sie ändern kannst?
Die gibt es sicherlich. Beispielsweise auf der Arbeit oder in der Schule, wenn es dort einen Vorgesetzten, Kollegen, Lehrer oder Mitschüler gibt, die einen immer schlecht behandeln. Wie ist es hier? In solchen Konstellationen wird häufig nur darauf geschaut, dass die andere Person einen ungerecht behandelt oder ähnliches. Dies bedeutet allerdings, dass nur das Problem im Fokus ist. In so einer Situation kann es wichtig sein, unterscheiden zu können, was man ändern kann und was nicht.
Dafür ist es jedoch wichtig, sich auf Lösungen zu fokussieren. Denn solange Du Dich nur auf das Problem fokussierst, ist eine Lösung unwahrscheinlich. In unserem Beispiel würde das bedeuteten, solange sich hier nur auf die andere Person konzentriert wird, ist eine Erkenntnis schwer.
Denn wenn Du nach Lösungen suchen würdest, könnte Dir vielleicht klar werden, dass Du sehr wohl etwas ändern kannst. Im Job hast Du zum Beispiel die Möglichkeit, Dir einen neuen Job zu suchen. Dafür benötigst Du wiederum den bereits angesprochenen Mut, dies auch durchzuziehen und Dich Deiner Angst zu stellen.
Andererseits ist es unmöglich, eine andere Person zu ändern. Die Person, an der Du auf jeden Fall etwas ändern kannst, bist Du. Daher wäre es eine Option, vielleicht einmal bei Dir zu schauen, was Du verändern kannst, damit sich die Situation verbessert? Dies erfordert natürlich wieder Mut.
Also mit der Weisheit ist in dem Gebet auch gemeint, überhaupt mal aus der Problemfokussierung heraus zu treten und lösungsorientiert zu denken.
Was hat das Ganze mit der Essstörung zu tun?
Darauf gehe ich in diesem Teil noch einmal ein. Dafür möchte ich das Du vielleicht einmal Deine Perspektive änderst. Was wäre, wenn Du Deine Essstörung als etwas akzeptierst, was Du nicht ändern kannst? Okay, jetzt denkst Du vielleicht Janina, was willst Du mir hier erzählen? Ich dachte Du hast Deine Essstörung überwunden? Du hast mehreren Frauen dabei geholfen, ihre Essstörung zu überwinden oder? Du schreibst, dass Du denkst, dass eine Heilung für jede möglich ist? Wieso sollte ich meine Essstörung als etwas akzeptieren, was ich nicht ändern kann?
Damit wir uns nicht falsch verstehen, das stimmt alles und Heilung ist möglich!
Doch Heilung ist ein Prozess. Damit meine ich, es ist nicht wie eine Kündigung eines Jobs oder einer Wohnung, bei denen Du einfach einen Brief schreibst und nach Frist X raus bist.
Daher sage ich, akzeptiere Deine Essstörung in einem ersten Schritt. Wenn ich sage, erster Schritt bedeutet es, dass noch ein weiterer Schritt folgt. Das bedeutet, Du solltest nicht nach dem ersten Schritt (Deine Essstörung als etwas akzeptieren, was Du nicht ändern kannst) aufhören, sondern direkt den zweiten Schritt machen.
Der zweite Schritt ist, dass Du Dich auf die Dinge konzentrierst, die Du ändern kannst. Das heißt, Du kämpfst nicht mehr gegen die Essstörung, sondern Du kämpfst dafür, Dein eigenes authentisches Leben zu leben.
Die Essstörung als Wegweiser
Deine Essstörung wird Dir bei Deinem Weg zum eigenen authentischen Leben helfen, denn sie gibt Dir Hinweise. Solltest Du zum Beispiel in der Recovery einen Rückfall haben, ist dies ein Hinweis, dass Du in einem Punkt Deines Lebens nicht komplett Dein eigenes Leben lebst. Es gilt somit langsam und Stück für Stück herauszufinden, wer Du bist und welches Leben Du leben willst. Solltest Du diesen Weg konsequent gehen, wird sich Deine Essstörung Stück für Stück aus Deinem Leben verabschieden. Denn wenn Du Dein wahres authentisches Leben lebst, dann bist Du frei und glücklich und die Essstörung wird verschwunden sein.
Sobald Du Deinen Fokus so veränderst, kannst Du Deine Essstörung als Wegweiser sehen. Dieser Wegweiser hilft Dir Dich kennenzulernen und das Leben Deiner Träume zu verwirklichen. Dies bedeutet Du verschiebst den Fokus vom Problem auf die Lösung. Der Wechsel der Perspektive hat mir auf meinem Heilungsweg sehr geholfen.
Übung zur Vergangenheit
Ich hatte Dir im Text ja versprochen, Dir eine Übung für Deine Vergangenheit mitzugeben. Denn Du kannst Deine Vergangenheit zwar nicht ändern. Dennoch gibt es auch hier Dinge, die für Dich vielleicht noch nicht abgeschlossen sind bzw. Dich noch beschäftigen.
Grundsätzlich ist es bei den Dingen, die in der Vergangenheit liegen, ebenfalls wichtig zwischen zwei Arten zu unterscheiden. Es gibt einmal Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, bei denen es noch etwas zu klären gibt. Dann gibt es noch die Situationen, bei denen das nicht mehr möglich ist. Eine Situation, in der es noch etwas zu klären gibt, könnte ein ungeklärter Streit sein, der bei einem gemeinsamen Gespräch beendet werden könnte.
Das Wichtigste ist, das Du Dir für diese Übung genügend Zeit nimmst. Plane Dir daher mindestens eine Stunde ein, in der Du nicht gestört wirst. Begebe Dich an einen Ort, an dem Du Dich wohlfühlst. Mache es dir beispielsweise mit einem Tee oder einem Getränk Deiner Wahl auf Deinem Sofa gemütlich. Zusätzlich benötigst Du noch einen Stift und Papier.
Ablauf Übung:
- Schreibe alle Situationen aus der Vergangenheit auf, die Dich noch beschäftigen.
- Sortiere die Situationen in zwei Kategorien. In die Erste schreibst Du alle, bei denen es noch etwas zu klären gibt. In die Zweite schreibst Du alle Situationen, in denen Du nichts mehr klären kannst oder es nichts zu klären gibt.
- Nun schreibst Du alle Situationen, in denen Du nichts mehr klären kannst oder es nichts mehr zu klären gibt, auf einen einzelnen Zettel. Dann schreibst Du unter das Problem, welche Erkenntnisse Du aus diesen Erfahrungen gewonnen hast und was Du für Dein weiteres Leben daraus lernen kannst. Danach verbrennst Du den Zettel, um mit diesem Thema abzuschließen.
- Nun schreibst Du alle Situationen einzeln auf einen Zettel, in denen es noch etwas zu klären gibt. Dann schreibst Du unter jedes Problem, was genau Du noch mit wem klären willst. Das bedeutet, Du legst heute schon exakt Deine nächsten Schritte fest. Also mit Datum und Uhrzeit. Als Beispiel zeige ich Dir nachfolgend, wie es aufgebaut sein könnte: Für Problem X muss ich noch ein klärendes Gespräch mit Michaela führen. Ich schreibe ihr am Dienstag, den 06. September 2022 um 12 Uhr folgende Nachricht: XXXX. In dieser Nachricht schlage ich ihr den Freitag, den 09. September 2022, um 15 Uhr als Gesprächs Termin vor und als Treffpunkt Café XY. Sollte ich keine Antwort auf meine Nachricht erhalten, rufe ich am Datum XY um XY Uhr an. Sollte ich sie telefonisch nicht erreichen, fahre ich am Datum XY um XY Uhr zu ihr und versuche mit ihr persönlich zu reden. Sollte sie dies nicht möchten, akzeptiere ich dies und schreibe mir am Datum XY um XY Uhr auf, was ich aus dieser Situation lernen kann, damit ich in Zukunft anders handeln kann. Sobald Du das Gespräch erledigst hast oder was Du Dir für die Situation überlegt hast, verbrennst Du auch diesen Zettel.
Abschluss
Ich wünsche Dir für die Übung, die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die Du nicht mehr ändern kannst, den Mut, die Dinge zu ändern, die Du ändern kannst (in diesem Fall die klärenden Gespräche wirklich zu führen bzw. die Übung überhaupt zu machen) und die Weisheit, das zu unterscheiden, wo Du noch etwas tun kannst und wo nicht😉.
Bis bald Deine Janina
„Das Schlechte an den Minderwertigkeitskomplexen ist, dass die falschen Leute sie haben.“
Jacques Tati